Verlobung.

Skizze aus dem Gesellschaftsleben von Paul Bliß
in: „Oedenburger Zeitung” vom 20.07.1899


Der Gymnasialdirektor Wegener gab ein großes Fest. Alle Räume strahlten in Tageshelle und eine glänzende Gesellschaft wogte hin und her. Man war in der besten Stimmung, denn das Souper, das eben beendet, war ganz vorzüglich gewesen, und nun kam über alle die wohlgenährten Menschen jene satte Zufriedenheit, die selbst die sonst unausstehlichsten Menschen erträglich macht.

Der Gastgeber stand plaudernd und lächelnd mit einem alten Geheimrath in der Erkernische, er war sehr zufrieden, der Herr Direktor, denn seine jüngste Tochter Lilli war nun mit dem berühmten Arzt Dr. Friedrich verlobt und dieser Mediziner war eine sogenannte gute Partie; zwar hatte er bereits die vierzig nahezu erreicht, und Lilli war eben erst zwanzig geworden, aber er hatte sich gut gehalten, sah jugendlich elastisch aus und vor Allem hatte er eine Praxis, die man auf zwanzig Mille im Jahr schätzte und das war denn für den Brautvater auch ausschlaggebend gewesen.

Das junge Paar saß in zwei hohen Lehnsesseln und war natürlich der Gegenstand des lebhaftesten Interesses. Die Freundinnen der Braut umstanden kichernd und scherzend ihren Platz und wenn auch die Meisten die glückliche Braut heimlich beneideten, hier spielten sie Komödie und ergingen sich in endlosen Glückwünschen und liebenswürdigen Aufmerksamkeiten.

Und die Tanten der Braut standen dabei und nickten lächelnd dazu und bewunderten immer wieder aufs Neue das entzückende Aussehen der kleinen Lilli — dies Glück! dies große Glück!

Ganz einsam in einer Ecke stand Bertha, die ältere Schwester der Braut und machte sich mit den Tassen am Büffetschrank zu schaffen. Sie hatte sich mit Absicht zurückgezogen, denn der ganze Trubel that ihr weh, jedes laute fröhliche Auflachen traf sie wie ein Stich und sie bedauerte nun von Neuem, daß sie sich hatte überreden lassen, hieher zu kommen; wäre sie doch daheim geblieben in ihrer kleinen Häuslichkeit, fern von dieser lauten Fröhlichkeit, daheim in ihrem stillen Schulstübchen bei kleinen Schülerinnen, die sie wie eine Mutter lieben und bei denen ihr eigenster Wirkungskreis war! Was sollte sie hier unter den fröhlichen Menschen, sie, die einsame alte Jungfer, die doch schon längst sich in ihr Schicksal ergeben hatte; was für eine lächerliche Rolle spielte sie hier, — ach, hätte sie das doch früher bedacht!

Und plötzlich geschah das, wovor sie am meisten gezittert hatte, während des ganzen Abends. Der alte Onkel Ludwig kam heran zu ihr, lachte sie mit einem weinrothen Gesicht an, faßte sie um die Taille und rief laut lachend: „Na, Berthchen, jetzt bist Du aber dran! Wenn Du Dich jetzt nicht bald dranmachst, dann kommst Du weiß Gott noch auf den Backofen!”

Zitternd und bebend, mit fahlem Gesicht, stand sie da und sah den Onkel entsetzt an, — sie hätte umsinken können! — aber sie biß die Zähne zusammen und lächelte, indem sie antwortete: „Ach, Onkelchen, daran denke ich doch längst nicht mehr.”

In diesem Augenblick trat eine alte Tante zu ihnen, die knüpfte an die letzten Worte an, wandte sich zu dem Onkel und sagte: „Ich weiß auch gar nicht, was Du willst. Weshalb soll denn Bertha heiraten? Sie hat sich durch ihre Schule doch eine Existenz gegründet.”

Onkel Ludwig aber erwiderte lachend: „Umso besser, dann kann sie ja warten, bis der Rechte kommt, aber das Heirathen gibt man mit dreiunddreißig Jahren deshalb noch nicht auf, — da kenne ich die Welt nun doch besser!” Lachend ging er weiter.

Und die gute Tante sah, daß die Heiterkeit ihrer Nichte nur erzwungen war und deshalb sagte sie nun voll Mitleid: „Du darfst ihm das nicht übel nehmen, liebe Bertha; wenn die Männer etwas getrunken haben, dann sind sie immer ein bischen frei in ihren Redensarten. Aber so unrecht hatte er wirklich nicht, — Du solltest nicht alle Anträge abweisen.”

Dem stillen MNädchen stieg die leise Röthe ins Gesicht. Sie wußte nicht, wem sie zürnen sollte, dem Onkel oder dieser Tante. Eine wahnsinnige Wuth überkam sie. Ach, warum mußte sie dies Alles über sich ergehen lassen.

„Da ist doch der Rektor Heinze,&rdquo, sprach die Tante emsig weiter, „so viel ich weiß, interessirt der sich doch sehr für Dich, — na, wie wär's denn damit?”

„Aber Tante, ich bitte Dich!” — sie war dem Weinen nahe und nur mit Gewalt zwang sie sich zur Ruhe.

„Nun ja, liebes Kind, ich meinte ja auch nur so, — Du wirst ja selbst wissen, was Dir am Besten ist.” Und sie streichelte ihr über das seidenweiche braune Haar.

Bertha aber ging eiligen Schrittes in ein entlegenes Nebenzimmer, wo man sie nicht suchen konnte, und dort warf sie sich auf den Diwan und schluchzte laut und bitterlich.

Nach einem Weilchen trat der Papa in das kleine Gemach. „Aber Bertha,” rief er erschrocken, „ Mädchen, was hast Du denn?”

Sofort war sie wieder auf, nahm sich zusammen und antwortete mit zitternder Stimme: „Ach, es ist schon vorüber, Papa.”

„Aber wenn Dich Jemand hier gefunden hätte, liebe Bertha — die einzige schwester der Braut in Thränen aufgelöst — was hätte das für Stoff zu einem Klatsch gegeben,” sagte der Direktor mit leisem Vorwurf.

Bertha nickte nur. „Du hast recht, Papa, ich war sehr unvorsichtig, aber nun ist es ja auch vorbei.” Und wieder wappnete sie sich mit Stärke und Geduld, auf daß sie dies nun auch noch ertragen konnte. Sie war ja seit dem Tode der Mutter daran gewöhnt, daß der Vater sie stets hintenan setzte, ihm war ja die Lilli, das Goldkind, sein Alles.

„Ja, so,” sagte der Vater, „deshalb kam ich ja her — man vermißt Dich drinnen, Bertha, bitte, komm zurück zu den Gästen und mache die Honneurs weiter.”

„Ich komme sofort, Papa, nur ein wenig will ich an meiner Toilette ordnen.”

Als sie in das Ankleidezimmer trat, fand sie die jüngere Schwester vor, die sie erstaunt ansah.

„Du hast ja geweint, Bertha, was fehlt Dir denn”

„Nichts, Lilli, es ist schon vorüber,” und mit einem um Schonung bittenden Blick sah sie die glückstrahlende Braut an.

Aber Lilli merkte nichts davon, mit jugendlicher Gluth umfaßte sie die ältere Schwester und rief: „Ach, Bertha, ich bin ja so unaussprechlich glücklich, — daß ich gar keinen Ausdruck dafür finden kann!”

Und wieder durchzuckte Bertha der Stich, den sie schon wiederholt heute gefühlt hatte, aber auch jetzt noch blieb sie ruhig und gefaßt und sagte, indem sie die junge Schwester umarmte und küßte: „Ich wünsche Dir von ganzem Herzen alles Gute, liebe Lilli!”

Als sie dann zurückwollte zu den Gästen, trat ihr im Vorraume der Bräutigam entgegen.

„Endlich, Fräulein Bertha, endlich treffe ich Sie einmal allein.”

Sie blieb stehen, wie erstarrt blickte sie ihn an, wortlos und zitternd, jetzt kam das Schwerste noch.

„Sie haben mir jede Aussprache unmöglich gemacht, nicht einmal meine Briefe haben Sie angenommen, und ich mußte mich Ihnen erklären, mich rechtfertigen vor Ihnen, Fräulein Bertha.”

Mit tonloser Stimme antwortete sie: „Es bedarf dessen nicht mehr, Herr Doktor, was ehemals geschehen ist, habe ich längst vergessen,Sie brauchen sich nicht mehr zu entschuldigen.”

„Und dnnoch bitte ich Sie, Fräulein Bertha, hören Sie mich an, eine Minute nur, damit ich Ihnen sagen kann, daß ich damals vor zehn Jahren mein Wort nicht halten konnte, nicht durfte.”

Bitter lächelnd sah sie ihn an.

„Jawohl, Fräulein Bertha, nicht durfte! Denn damals war ich ein junger Arzt ohne Mittel, ohne Praxis, ohne Alles und ich durfte damals nicht Ihr junges Leben an mich fesseln, ich mußte allein im Kampf des Lebens bestehen, ich mußte siegen oder untergehen.”

„Nun, Herr Doktor,” sagte sie ganz ruhig,” „Sie haben ja auch gesiegt, denn so viel ich höre, sind Sie jetzt ja auch ein berühmter und gesuchter Arzt geworden.”

Er nickte und sprach weiter. „Nach rastlosen Kämpfen bin ich es geworden, ja, aber was dazwischen liegt, davon haben Sie keine Ahnung; ich habe gehungert und gedarbt, um mein Ziel zu erreichen, und das hätte ich nie gekonnt, wenn ich damals mein Ihnen gegebenes Wort gehalten hätte. ich weiß, daß Sie mich einen Egoisten schelten; ich weiß, daß Sie mich verachten werden, und dennoch, Fräulein Bertha, ich konnte nicht anders handeln, wenn ich vor mir selbst bestehen wollte.”

Sie erwiderte nichts darauf, nachdenkend sah sie in die Kamingluth.

Und da plötzlich fiel ihm auf, wie alt sie in diesen Jahren geworden war und wie vergrämt sie aussah. Das machte sein Mitleid aufleben, und er gedachte nun der Zeit, da er sie geherzt und geküßt hatte. Zehn Jahre lagen dazwischen. Er hatte die Welt gesehen, das Leben kennen gelernt, und eingesehen, daß er sich damals geirrt hatte, daß er ein momentanes Interesse für Liebe gehalten hatte. Und dann hatte er sie vergessen bis zu dem Tage, da er ihre jugendschöne jüngere Schwester kennen gelernt hatte. Das war dann die echte und rechte Liebe gewesen, die ihn gepackt und gefesselt hielt, bis er den goldenen Reif sich erobert hatte.

„Und nun, Fräulein Bertha,” bat er, „zürnen Sie mir nicht mehr, reichen Sie mir die Hand und lassen Sie uns Freunde bleiben trotz alledem.”

Nun reichte sie ihm die Hand, die er leicht mit einem Kuß netzte, dann, ohne ein Wort, ging sie von ihm. Nun aber ertrug sie es nicht mehr länger hier drinnen, nur fort, hinaus, nur fort. Als sie wieder allein war, jammerte sie auf in wildem Weh: „Und ich habe ihn einst so heiß geliebt, daß ich mit ihm gedarbt und gehungert hätte, wenn ich sein Weib geworden wäre!” — Doch nicht lange konnte sie fortbleiben. Ihre Pflicht rief sie ja zurück in die Gesellschaft. Und so nahm sie denn das letzte Restchen Kraft zusammen und schleppte sich zurück in die Gesellschaft und zeigte Allen ein heiteres Gesicht und war jedem Scherze zugänglich, während ihr vor Weh fast das Herz brach.

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